Naked Ufo und kunsthistorische Bezüge

 


In der Kunst war Nacktheit nie ein Tabu, von den nackten Engeln, den Skulpturen nackter Körper, der Aktmalerei, der Aktfotografie bis zur zeitgenössischen Inszenierung des nackten Körpers als Teil einer Installation oder einer Performance. Das Abbild wie auch der lebendige nackte Körper wird im geschützten Raum von Museen, Kunsthäusern und Galerien oder im konventionellen Theater zur Darstellung von irgendetwas auf der abgeschotteten Bühne ohnehin seit Jahrzehnten ohne viel Aufhebens gezeigt und geschaut.

 

Eine radikale, das interaktive Element miteinbeziehende Performance ist Imponderabilia von Marina Abramovic und Ulay (1977). Sie stellten sich nackt und in geringem Abstand in den Eingang eines Museums. Die Besucher/innen hatten keine andere Wahl als sich zwischen den beiden seitwärts durchzuzwängen.

 

Das neuere Beispiel mit Vanessa Beecrafts Inszenierungen fast nackter Frauenkörper, aufgestellt als tableaux vivants im Museumskontext, wirkt im Vergleich dazu veraltet. Die Szenen sind geschönt und mit Symbolik aufgeladen, so 2005 in Berlin die 100 Frauen, die in Nylon-Strumpfhosen dastanden, rasiert, aber unbedingt blond-, schwarz- und rothaarig, in den Nationalfarben Deutschlands.

 

Als lägen Projekte des Nacktseins in der Luft kommt in jüngster Zeit der nackte Körper in Tanzperformances wieder in Mode. Auffallend ist aber auch hier die Aufladung mit Inhalten. Und leider wird das interaktive Element zugunsten von Vorführung zurückgestellt.

 

Im privaten Bereich ist Nacktheit sowieso in Ordnung. In geschützten oder abgegrenzten Räumen wie FKK-Gelände, Saunas, Gruppen ist sie willkommen. Angemerkt sei, dass in Swingerclubs und in der Erotikszene Nacktheit im Prinzip nur geduldet ist. Im Vordergrund steht die geschickte Verhüllung zwecks Erotisierung und Befriedigung der legitimen sexuellen Bedürfnisse, wofür der Körper dann eben halt nackt zu sein hat.

 

Mit der Nacktheit im öffentlichen Raum verhält es sich zwiespältig. Zwar gab es vor 40 Jahren im Zuge der sexuellen Befreiung den Wiener Aktionismus und provokative Nacktauftritte von Kommunen. An nackten Figuren aus Stein oder Metall im öffentlichem Raum stört sich ohnehin niemand mehr. Dann gab es vor knapp 30 Jahren im Verlauf der Zürcher Bewegung eine spontane Nacktdemo von etwa 1000 Personen. Nacktflitzer kamen in Mode. Heute gibt es die Nackthappenings mit Spencer Tunick mit bis zu 4000 Personen.

 

Zum Zwecke der Kunst darf heute auf öffentlichen Plätzen in der Schweiz für ein Fotoshooting mit Einwilligung der Obrigkeit nackt gelegen, gekauert oder gestanden werden. Ich nahm selber an einer Aktion teil und lag auf dem kalten Pflaster frühmorgens nackt in der Masse (Fribourg Belluard 2001). Die Frage bleibt offen, ob die Nackt-Aktion auch tagsüber und inmitten von Passantenströmen toleriert worden wäre. Zumindest in Biel wird 8 Jahre später die auf 17 Uhr explizit in die Passantenöffentlichkeit hineinplatzierte Nacktperformance Naked Ufo polizeilich bewilligt und sogar von der Stadt Biel unterstützt.

 

Man mag die Bilder von den inszenierten Haufen nackter Körper bei Spencer Tunick schrecklich finden, weil sie die Assoziation von Fleisch oder gar Massaker zulassen. Man mag ihm Gigantismus vorhalten. Mit ihm hat aber Nacktsein, wenn es im Rahmen einer Kunst-Aktion geschieht, den öffentlichen Raum erobert. Die Bilder gehen um die Welt.

 

Wer sich nicht in Stein hauen oder in Metall giessen lässt und ohne Kunstabsicht nackt herumsteht oder auf dem Velo herumfährt wird hierzulande gebeten, es doch bitte sein zu lassen, da es nicht allen gefallen könnte. Ich denke an das mir zugetragene Beispiel von einem Basler, der es sich gönnte, nackt in der Stadt herumzuspazieren, als wäre dies genauso selbstverständlich wie in Kleidern. Ich denke auch an die Nacktwanderer im Kanton Appenzell, die neu mit Busse rechnen müssen, es dafür bis in die Seiten der New York Times geschafft haben. Im Prinzip ist Nacktsein im öffentlichen Raum nicht gern gesehen, ausser bei spielenden Kindern- oder anderswo. Auf youtube.com beispielsweise sind Videos von Gruppen fröhlicher Nacktradler zu finden, in Deutschland und Spanien, zum Gaudi überraschter Passanten.

 

Um Gaudi und Fröhlichkeit geht es beim Naked Ufo nicht. Nacktsein ist hier kein privater Spleen. Es geht auch nicht um die Eroberung öffentlicher Räume für Naturisten oder um Exhibitionismus. Der/die öffentlich auftretende Nackte führt seinen Körper nicht vor, hat keinen Adressaten wie der Exhibitonist. Entsprechend läuft der Voyeur ins Leere. Es dürfte ihm schnell langweilig werden, weil hier Nacktheit unaufgereizt daherkommt.

 

In vielen Gesprächen stelle ich fest, wie tabuisiert der nackte Körper noch immer oder wieder ist. Ich begegne nicht nur Goodwill und aktiver Teilnahme, sondern viel Skepsis und Vorsicht. Die natürliche Authentizität und Schönheit des eigenen Körpers wird von einer vorgefassten Aesthetik aus Werbung, Schönheitsmythen und Konventionen überlagert.

 

Die Unsicherheit rund um die Skepsis und die Vorsicht, sodann der Grenzfall des Nacktseins im öffentlichen Raum verdeutlicht die gesellschaftliche Relevanz eines Projekt des Nacktseins, umso mehr, als alle erdenklichen Vorarbeiten geleistet worden sind, damit es substantiell weiterführt und nicht in Sackgassen von Klischees und Vorurteilen endet.

 

Nacktsein geschieht beim Naked Ufo im Dienst einer Plastik minimal sich bewegender nackter Körper und bekleideter Passanten, zwischen Skulptur und Choreographie, auf der Basis eines künstlerischen Konzepts.

 

Thomas Zollinger, März/August 09