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19.03.2024

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Ritual Theater Übersicht

Die Beschäftigung mit Konzepten von Theater, Körper, Kunst und Performance brachte mich ab 1991 dazu, die Trennung in Performende und Zuschauende, die mich als gelegentlichen Theatergänger schon immer störte, in einem eigenen Konzept des Ritual Theater zu thematisieren und aufzuheben. Es hat sich aus der Beschäftigung mit Arbeiten historischer Vorläufer herausgebildet. Massgeblich waren neben experimentellen Aktionsformen wie Happening oder unsichtbarem Theater Begegnungen mit Künstlern, die von der Arbeit Jerzy Grotowski inspiriert waren. In Grotowskis paratheatraler Phase, in der er sich von Theater im Sinne einer Aufführung für Publikum abwandte, fand ich Orientierung.

Walter Pfaff knüpfte mit seinem Parate Labor ab 1989 daran an und untersuchte Techniken der aktiven Partizipation. 1991 lud er zu einem von Jacek Zmyslowski konzipierten zweistündigen Treffen in einem gegebenen Raum ein, wo Spieler/innen und Besucher/innen aufeinandertrafen („Vigil“)“. Seine Arbeiten führten 1996/97 zur Ausstellung „tala mudra rasa – Der sprechende Körper“ im Museum für Gestaltung in Zürich. Norbert Klassen bearbeitete in Bern seit Ende der achtziger Jahre auf dem Hintergrund von Fluxus und Schauspiellehrer-Tätigkeit mit unglaublicher Präzision die Schnittstelle zwischen Performance Art und Theater. Beispielsweise darf die Besucher/in in einer 12 Stunden aufrechterhaltenen Landschaft von verlangsamt agierenden Performer/innen frei zirkulieren (Winterreise, 1988).

Das Ritual Theater ist ein durchlässiges Konzept, alle sind mittendrin. Es findet ohne die Begrifflichkeit der Worte statt, ohne Objekte, ohne Materialien. Es geschieht körpersprachlich durch Bewegung und Nicht-Bewegung, im Rahmen genau definierter zeitlicher Strukturen. Meisterin ist die Zeit. Die lange Dauer ist wichtig, sie bewirkt Präsenz und ein körperlich-geistiges Wacherwerden. Vertiefung geschieht durch Wiederholung und der Eliminierung des Beliebigen. Die Handlungen genügen sich selber. Durchlässig sind auch die Räume. Ein leerer Raum dient als Aktions- oder Nichtaktionsraum. Er ist nicht abgeschlossen, sondern steht in Verbindung zum öffentlichen (Stadt-)Raum und auch zu privaten Räumen. Die dabei entstehende Situation lässt offen, wo denn jetzt "Theater" oder "Kunst" stattfinde.

Entstanden sind von 1994 bis 1998 vier Performance-Konzepte des Ritual Theater. Jedes hat auf eine spezifische Fragestellung zu reagieren versucht. Zunächst ging es, vom Theater her kommend, um die Thematisierung der Trennung in Bühne und Zuschauerraum. In den Mittelpunkt rückte die Bewegung und die interaktive Präsenz der anwesenden Körper.
(5 Tage Ritual Theater 1994)

Schliesslich genügte ein leerer Raum mit den Menschen drin. Der öffentlich zugängliche leere Raum mit den Menschen drin wurde durch ein rituelles Wassertragen mit dem Aussenraum verbunden
(6 mal 6 Stunden Ritual Theater 1995).

Ein weiteres Projekt dokumentiert die Schnittstelle zwischen dem Theater- und dem Kunstprojekt. Eine durchgehend geöffnete leere Galerie mit wachenden Menschen drin wurde durch das blosse Hinundhergehen einer Person mit dem öffentlichen Stadtraum und einer leeren Wohnung verbunden.
(24 Stunden Ritual Theater 1995)

Das vierte und umfassendste Konzept präsentierte als leeren Raum ein leeres Warenhaus. Dieses war 168 Stunden durchgehend geöffnet. Ein ununterbrochenes, sich stündlich wiederholendes Ritual des Wassertragens brachte die spezielle Situation ins öffentliche Unterbewusstsein. Das Wachen im leeren Warenhaus forderte die 27 direkt beteiligten Personen zu detaillierten Bezügen zwischen "Kunst"-Handlungen und "Lebens"-Handlungen heraus.
(7 Tage Ritual Theater, 05.07. bis 11.07.1998)

Im Rahmen des 7 Tage Ritual Theater sind vier Kernstücke des Ritual Theater als Konzept entstanden:
40 Minuten Sitzen (08.07.1998, 7 Tage Ritual Theater)
40 Minuten Gehen (02.07.2000, Konzeptausstellung „weiter gehen“ Gewölbe Galerie Biel)
40 Minuten Liegen (16.11.2000, unter einem Erdwall liegen „Erdkörper“
40 Minuten Stehen (03.09.2001, Abschlussperformance CH liebt Kunst, Centre Pasquart Biel)

Die theoretische Begründung des Ritual Theater im Sinne einer Bezugnahme auf theater- und kunstgeschichtliche Vorläufer wurde mit dem Text "Endspiel-Theater" (1997) unternommen. Ein weiterer Text benennt offene Fragen im Bereich der Performance Art und des Performance Theater, in dessen Umfeld die künstlerische Forschung ihren Anfang genommen hat, und sucht nach den Schnittstellen zum Ritual Theater ("Performance und Ritual Theater", 1999).

Thomas Zollinger 1998, überarbeitet 2001 und 2021